Brief an Carsten

Geliebter Sohn,

ich sitze hier an deinem Schreibtisch, du lachst mich an und ich denke an dich. Es ist kaum zu fassen, dass du schon fast ein Jahr tot bist und ich hoffe so sehr, dass es dir dort, wo du jetzt bist, gut geht und du keine Schmerzen mehr hast.

Oft denke ich an deine letzten Tage mit mir zurück, als ich mich noch mit dir verständigen konnte. Du konntest ja kaum sprechen, weil deine Lymphknoten so geschwollen waren und hast auch so schlecht Luft bekommen. Ich habe dich massiert und du hast es genossen. Am Abend hast du mich gebeten mit dir noch einen Film anzuschauen, aber ich war so kaputt und wollte nur noch in mein Bett.

Hast du geahnt, dass du nicht wieder aufwachen würdest? Am nächsten Morgen fand ich dich mit einer Beule am Kopf und einen Schlauch im Mund auf der Intensivstation wieder. Hast du sehr gelitten? Warum bin ich nicht bei dir geblieben?

Ich habe mit dir gesprochen und dich gestreichelt. Hast du meine Verzweifelung und meine Tränen gespürt, als es dir von Tag zu Tag schlechter ging? Irgendwann, als deine Nieren versagten, habe ich Gott angefleht, dich nicht mehr leiden zu lassen. Wenigstens diesen Wunsch hat er mir erfüllt.

Doch wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann suche ich dich am Himmel und wenn ich dich gefunden habe, dann sagst du mir, dass es dir gut geht und das alles schon in Ordnung ist. Aber mein Herz kann nicht aufhören zu bluten und meine Seele nicht aufhören zu weinen.

Liebster Sohn, ich weiß, du willst nicht, dass ich so traurig bin. Ich versuche ja auch zu leben, spiele wieder Tennis und mit deinem Vater Bridge. Nur WARUM? Ich danke dir für jede Minute, die ich mit dir zusammen sein konnte.

Deine Mutti